Flammt Kritik auf, schiebt jeder dem anderen die Verantwortung zu. Da die Länderregierungen im Bundesrat nicht an die Beschlüsse ihrer Parlamente gebunden sind, fühlen sich diese weitgehend entmachtet, zu „Ratifizierungsinstanzen“ herabgewürdigt. Und die Kommunen sind der Meinung, dass diejenigen, die beschließen, auch für die Folgekosten aufkommen sollten. Irgendwo, in weiter Ferne, schauen die Bürgerinnen und Bürger dem ganzen Treiben zu: wütend, misstrauisch und zunehmend distanziert.
Ginge es allein um die Verbesserung der Funktionstüchtigkeit des föderalen Systems, um eine Verbesserung der Effizienz unserer Gesellschaft in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung – es wäre eine gute und wichtige politische Auseinandersetzung. Aber es geht eben auch um Geld und Macht. Deshalb werden die Auseinandersetzungen immer schärfer und die Argumente der Kontrahenten verlieren in der Öffentlichkeit zunehmend an Glaubwürdigkeit.
Als am 3. Juli 2006 die erste Etappe der Reform mit einer Zweidrittelmehrheit den Bundestag passierte, schien die Vernunft zugunsten von Länderegoismus auf der Strecke geblieben zu sein. Warum soll ausgerechnet das für unsere Zukunft so wichtige Thema Bildung zum Spielball von Wettbewerb zwischen armen und reichen Bundesländern werden? Und warum soll der Bund künftig Ganztagsschulen nicht mehr finanzieren dürfen? Warum wird die einheitliche Bezahlung von Beamten abgeschafft – dafür gab es doch gute Gründe? Gleiten wir systematisch in eine egoistische Kleinstaaterei zurück mit völlig unterschiedlichen Standards? Und warum wehren sich plötzlich die reichen Südländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gegen den seit Jahrzehnten praktizierten horizontalen Finanzausgleich – und wollen nun statt Solidarität Wettbewerb? Dass sich Bayern dabei an die Spitze stellt – Bayern, das über 30 Jahre Hilfe anderer Bundesländer empfangen hat und sich nun als Geberland dieser Pflicht entziehen will – empört viele Menschen. Sind die Regierungen der Nehmerländer wirklich so unfähig und verantwortungslos, dass sie bedenkenlos auf Kosten der nächsten Generationen Schulden machen? Immerhin wurden sie immer wieder abgewählt und durch andere ersetzt – ohne durchschlagende Erfolge. Was würde eine Obergrenze für Schulden oder ein absolutes Schuldenverbot bedeuten?
Wenn den Ländern eine begrenzte Steuerhoheit zugebilligt würde – kämen wir dann nicht in einen ähnlichen Steuerwettlauf nach unten, wie dies international bereits geschieht – auf Kosten der Staatshaushalte und letztlich der kleinen Leute?
Was aber sind die Alternativen zu einer rasant steigenden und gefährlichen Verschuldung?
Professor Milbradt ist Finanzfachmann und hat es als Finanzminister und Ministerpräsident des Freistaates Sachsen geschafft, nach Bayern die geringste Pro-Kopf-Verschuldung vorzuweisen. Welchen Preis musste er dafür bezahlen, den andere – höher verschuldete Länder – möglicherweise nicht zahlen wollten?
Zur Person:
Geboren am 23. Februar 1945 in Eslohe (Sauerland). Seine Familie stammt aus Wongrowitz (bei Posen) und flüchtete bei Kriegsende nach Westdeutschland. 1964 Abitur in Dortmund. Von 1964 bis 1968 Studium der Volkswirtschaft – mit den Nebenfächern Jura und Mathematik – an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen. Abschluss als Diplom-Volkswirt.
1970 bis 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter / Assistent am Institut für Finanzwirtschaft an der Universität Münster. 1973 Promotion, 1980 Habilitation und Erwerb der Lehrbefugnis für Volkswirtschaftslehre. 1980 bis 1983 Lehrstuhlvertretung für Finanzwirtschaft und Volkswirtschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1985 außerplanmäßiger Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen.
Seit 1973 ist Georg Milbradt Mitglied der CDU. Von 1983 bis 1990 war er Finanzdezernent der Stadt Münster, von 1990 bis Januar 2001 sächsischer Staatsminister der Finanzen.
Seit 1991 ist er Mitglied des Landesverbandes der sächsischen CDU, seit 1994 Mitglied im sächsischen Landtag. 1999 wurde Georg Milbradt zum Stellvertretenden Landesvorsitzenden und im September 2001 zum Vorsitzenden des CDU-Landesverbandes Sachsen gewählt. Die Wahl zum sächsischen Ministerpräsidenten erfolgte am 18. April 2002. Anfangs Chef einer CDU-Alleinregierung, führt er seit den Landtagswahlen im September 2004 eine Koalitionsregierung aus CDU und SPD. Am 10. November 2004 wurde er als Ministerpräsident des Freistaats Sachsen im Amt bestätigt.