Veranstaltung am 3.5.2008
Dass angesichts von Energie- und Umweltkrise die Bahn das zukünftige Hauptverkehrsmittel vor Auto und Luftverkehr sein wird und dass der Bahnverkauf just zu diesem Zeitpunkt einen mit Sachargumenten nicht nachvollziehbaren Fehler darstellt, waren die zentralen Inhalte des Vortrags. Vielen Besuchern des Ost-West-Forums dürfte ein solcher Zusammenhang vor dem Vortrag von Hendrik Auhagen eher schwer nachvollziehbar gewesen sein. Dann aber zeigte sich in der anschließenden Diskussion doch die Unterstützung durch das Publikum.
Dass der gegen die Mehrheit von Bevölkerung und SPD-Bundesparteitag durchgedrückte Bahnverkauf eine schwere Krise der Demokratie kennzeichnet, war aber in ihrem Ausmaß nicht einmal dem Referenten selbst klar. Auhagen beschrieb zwar die konspirativen Methoden, mit denen Bahnchef Mehdorn ohne Ermächtigung des Bundestages den Bahnverkauf betrieb und dazu Politiker und Bahn-Gewerkschaften mit riesigen Gehaltssprüngen in sein Privatisierungsboot holte. Dass aber schon sechs Tage nach dem Vortrag auf Gut Gödelitz der Transnet-Vorsitzende Hansen, ohne dessen Engagement bei SPD-Politikern und Bahnbeschäftigten es nie zu einem Verkauf gekommen wäre, just nach den erfolgten Fraktionsbeschlüssen zur Bahnprivatisierung in den Bahnvorstand wechselt – natürlich bei einer Vervielfachung des Gehalts – dürfte selbst dem Referenten kaum glaublich gewesen sein.
Die offenkundige Dreistigkeit des Verfahrens hat geradezu Testcharakter: Nimmt die Gesellschaft – mit etwas Murren zwar aber dennoch – einen solchen Akt hin, dann wird etwas normal, was vor 20 Jahren noch als Ungeheuerlichkeit wahrgenommen worden wäre: Dass mächtige Kapitalgruppen unser Gemeinwesen mit eklatant amoralischen Methoden ausplündern können, ohne von den Volksvertretern dabei gebremst zu werden.
Schon die jahrelangen Bundestagsvorüberlegungen zeigen die für uns alle gefährliche Fehlorientierung: Nicht welche Organisationsform der Bahn für unser Land die beste ist, sondern WIE die deutsche Bahn PRIVATISIERT werden soll, lautete die Kernfrage des Bundestagsgutachtens “Primon”. Das Modell der besten Bahn Europas mit extrem hoher Kundenzufriedenheit und gleichzeitig dem niedrigsten öffentlichen Zuschussbedarf, nämlich das System der ÖFFENTLICHEN Schweizer Bahnen wurde nicht einmal vom Bundestag untersucht!
Stattdessen haben die meisten Parteien und lange Zeit auch die Medienmehrheit den Privatisierungskurs der Mehdornbahn mit Lob bedacht. Und zwar bei Ignoranz gegenüber den Fakten:
– Schulden: 1994 hat der Bund 25 Mrd. Euro Schulden von der Bundes- und Reichsbahn übernommen und die schuldenfrei gestartete Deutsche Bahn AG hat so gerade unter Mehdorn eine Verschuldung von 19 Milliarden erreicht.
– Die öffentlichen Zuschüsse für die Bahn sind um ca. 30% gestiegen. Über 100 Milliarden Euro sind seit 1994 in die Bahn geflossen. Insbesondere in teure Hochgeschwindigkeitsstrecken und repräsentative Großprojekte wie den Berliner Bahnhof.
– In der Fläche ist das Bahnangebot dramatisch verschlechtert worden. Gegen den Willen der Kunden wurde die beliebteste Zuggattung, der Interregio, abgeschafft, was zur weitgehenden Abschaffung des Fernverkehrs in der Fläche, zu hochriskanten Umsteigeverbindungen und zu massiven Preiserhöhungen geführt hat.
– Von der Schiene auf die Straße statt umgekehrt, wie in Sonntagsreden seit Jahrzehnten gefordert, ist der Güterverkehr seit der Bahnreform verlagert worden: Zwei Drittel aller Güteranschlussgleise hat die Bahn gekappt. (Nur im internationalen Ferngüterverkehr zwischen einzelnen Großbetrieben ist der Schienenverkehr gewachsen.)
– Nicht die Deckung der Verkehrsbedürfnisse in Deutschland ist das offen deklarierte Ziel von Bahnchef Mehdorn, sondern die Umwandlung in einen weltweit agierenden Global-Player insbeondere auf Straße und in der Luft! In zweistelliger Milliardenhöhe hat die Deutsche Bahn AG überall auf der Welt Logistikunternehmen aufgekauft und gleichzeitig, wie der Bundesrechnungshof beklagt, den Zustand des deutschen Schienennetzes verludern lassen.
Dass es mit weniger öffentlichen Mitteln auch ganz anders gehen kann, hat Auhagen am Beispiel der Schweizer Bahnen gezeigt: Dichter Taktverkehr selbst in die hintersten Orte, ein einfaches Preissystem ohne Schnäppchenangebote aber günstigen BahnCard-Angeboten, einer für deutsche Verhältnisse kaum glaublichen Zuverlässigkeit und mehr als doppelt so hoher Inanspruchnahme der Bahn als in Deutschland. Indem die Schweizer Bahn nicht auf Gewinn sondern auf eine schwarze Null ausgerichtet ist, lohnt sich für sie Bahnbetrieb im Interessen der Bevölkerung, wo die DB eine Fernverkehrsverbindung nach der anderen streicht, weil sie für die zukünftigen Investoren nicht genug abwerfen.