Vortrag und Diskussion mit Sabine Werth: Armut hinter der Glitzerfassade

Im Februar 1993 wurde die Berliner Tafel e.V. gegründet. Sie begann als Hilfsprojekt einer Frauengruppe für die etwa 400 Obdachlosen der Stadt. In 21 Wärmestuben und Suppenküchen wurde ihnen eine auskömmliche und gesunde Ernährung angeboten.

Bereits nach kurzer Zeit stellten die Initiatoren jedoch fest, dass die Obdachlosen nur ein kleiner Teil der Bedürftigen Berlins waren. Weil viele Menschen sich ihrer Armut schämten, siedelte Armut meist im Verborgenen.
Die Berliner Tafel erweiterte daraufhin ihr Angebot auf „Lebensmittel-Spenden“ für Bedürftige. Inzwischen versorgt die Berliner Tafel 370 soziale Einrichtungen – von Frauenhäusern über HIV-Beratungsstellen bis hin zu Schulen. Gerade in Schulen wurde festgestellt, dass zunehmend Kinder zu Hause nicht, kaum oder nur unzureichend versorgt werden.

Heute werden hinter der Glitzerfassade unserer Hauptstadt täglich 15 000 Menschen auf diesem Wege mit Lebensmitteln aller Art versorgt: Obdachlose, Schüler, Hartz – IV – Bezieher, Alleinerziehende und Rentner. In der Bundesrepublik leben inzwischen mehr als elf Millionen Bundesbürger in Armut. Tendenz steigend.
Deshalb war es auch logisch, dass dem Berliner Vorbild inzwischen 330 Städte gefolgt sind und Tafeln gegründet haben. Über 20 000 freiwillige Helfer und Helferinnen sind täglich unterwegs. Es ist die größte soziale Bewegung der letzten 12 Jahre.

Die Idee stammt aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort leben 44 Millionen Menschen ohne oder mit nur sehr unzureichender Sozialversicherung. Die Rolle des Staates wird dort anders definiert als bei uns – und gewiss nicht als Beschützer der Armen. Diese Aufgabe wird vor allem privaten Hilfsorganisationen zugewiesen.

Die Tafel-Bewegung in Deutschland ist eine großartige, bewundernswerte Leistung. Aber sie ist auch ein Warnsignal an uns alle: Diese zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Lande ist nicht hinnehmbar. Langfristig wird sie den inneren Frieden in unserem Lande zerstören.

Mit Sabine Werth haben wir die Mitbegründerin und Vorsitzende der ersten deutschen Tafel – der Berliner Tafel – auf Gut Gödelitz eingeladen. Sie ist eine Frau voller Ideen und Tatkraft, die ihr Lebenswerk den neuen und schwieriger werdenden Bedingungen anzupassen versucht.


 

zur Person: 

sabine_werth_foto_1Sabine Werth wurde 1957 in Berlin geboren und schloss ihr Studium der Sozialarbeit an der Evangelischen Fachhochschule Berlin als Dipl. – Sozialpädagogin ab. Seit 1987 arbeitet sie als selbständige Unternehmerin in ihrer eigenen Firma ‚Familienpflege Sabine Werth’.

Nachdem sie durch ein Mitglied der Berliner Frauen e. V. von der New Yorker Initiative „City Harvest“ erfahren hat, übrig bleibende, jedoch einwandfreie Lebensmittel zu sammeln und an Bedürftige zu verteilen, gründet sie nach selbem Vorbild im Februar 1993 zusammen mit anderen Mitstreiterinnen die „Berliner Tafel“ und ist seither ihre Vorsitzende.

Nach der Gründung von Tafeln in zahlreichen anderen deutschen Städten wurde von Sabine Werth 1995 der „Bundesverband Deutsche Tafel e. V.“ ins Leben gerufen, dessen Bundesvorsitzende sie von 1995  bis 1996 und von 2000 bis 2002 war. Seit 2002 ist sie die Ländervertreterin von Berlin / Brandenburg.

Ab dem WS 2005 / 06 wurde sie als Lehrbeauftragte an die Evangelische Fachhochschule Berlin mit den Themen Ehrenamt und Sozialarbeit berufen.

Sabine Werth ist Trägerin des Verdienstordens des Landes Berlin (1995) und des Bundesverdienstkreuzes (2003)