Vortrag und Gespräch mit Christoph Links: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen

Veranstaltung am 25. Juli 2008

Die meisten DDR-Verlage wurden in Folge der Wende verkauft und verramscht.  85 % der ehemaligen DDR-Verlage wurden nach der Wende aufgelöst oder existierten nur noch als rechtliche Hülle, ganze Archivbestände sind verschwunden. Von den einstmals 78 lizenzierten DDR-Verlagen ist heute nur noch ein Dutzend produktiv. Wie verträgt sich das mit Artikel 35 des Einigungsvertrages, in dem es heißt, dass die »kulturelle Substanz« in Ostdeutschland »keinen Schaden nehmen« dürfe? Ganz einfach. Gar nicht!

Als die Mauer 1989 fiel, gab es genügend Anlass zu Freude und Hoffnung. Das wirtschaftliche Ende der ehemaligen DDR war zwar offensichtlich, wurde jedoch zunächst von der Aussicht auf Reisefrei­heit und gefüllte Supermarktregale verdrängt. Die revolutionäre Entwicklung in der DDR nahm ihren Anfang in den Leipziger Montagsdemonstrationen. Leipzig war mit seinen zahlreichen Buchhäusern und Literaturzirkeln eine Art geistiges Zentrum der ostdeutschen Intellektuellen. Dass ausgerechnet in der sächsischen Stadt die unmit­telbaren Folgen der Wiedervereinigung für den Buchmarkt am deutlichsten spürbar werden würden, hatte im Sommer 1989 kaum jemand erwartet. Die einstige Nummer eins der deutschen Verlagsstädte liegt heute abge­schlagen auf Rang 14.

Leipzig ist nur ein Symptom für den Niedergang der Buchbranche seit der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern. Die meisten DDR-Verlage wurden in Folge der Wende verkauft und verramscht.  85 % der ehemaligen DDR-Verlage wurden nach der Wende aufgelöst oder existierten nur noch als rechtliche Hülle, ganze Archivbestände sind verschwunden. Von den einstmals 78 lizenzierten DDR-Verlagen ist heute nur noch ein Dutzend produktiv. Am meisten profitiert hat davon die westdeutsche Konkurrenz. Wie verträgt sich das mit Artikel 35 des Einigungsvertrages, in dem es heißt, dass die »kulturelle Substanz« in Ostdeutschland »keinen Schaden nehmen« dürfe? Ganz einfach: Gar nicht!

So einiges ist schief gegangen während der wirtschaftlichen Transformation des DDR-Systems in das bundesrepublikanische Wirtschaftsgefüge, nicht allein in der Buchbranche. DDR-Unternehmen hatten keinerlei Erfahrungen mit den Beding­ungen in einer offenen Konkurrenzwirtschaft, die Verlage ebenso wenig, wie jedes andere Unternehmen. Doch der Niedergang der DDR-Verlage ist weniger Resultat fehlender Erfahrungen, als vielmehr Konsequenz der hemmungslosen Mitnahme­mentalität bundesdeutscher Verlage und Investoren.

Die wichtigsten Gründe des Ausverkaufs der DDR-Verlage liegen in den massiven Fehlern und Versäumnissen der Treuhandanstalt. Weil die Treuhandanstalt auf eine schnelle Veräußerung der Betriebe setzte und die Sanierung der Verlage an die neuen Eigentümer übergab, liefen die skrupellosen Übernahmen durch die Westverlage völlig aus dem Ruder. Unter dem Deckmantel der „natürlichen Marktbereinigung“ wurden zahlreiche Buchhäuser für Spottpreise aufgekauft, nur um Konkurrenten samt Lizenzen und Rechte, Immobilien und Druckereien billig zu übernehmen. Bekann­testes Beispiel für diese mit Fehlern behaftete Politik ist das bis heute ungeklärte Schicksal des Berliner Aufbauverlags.

Ob eine andere Treuhandpolitik zu einer besseren Privatisierungsbilanz für die ostdeutsche Buch- und Verlagslandschaft geführt hätte, bleibt ungeklärt. Die Bilanz der Privatisierung der DDR-Verlage fällt katastrophal aus. Jede ausgelassene oder versäumte Möglichkeit einer alternativen Privatisierung erscheint daher als ungenutzte Chance für ein besseres Ergebnis. Mit dem Verschwinden der ostdeutschen Verlage ging eines der größten ostdeutschen Industrie- und Kulturgüter unwiederbringlich verloren.


 

Zur Person:

Christoph Links wurde 1954 in Caputh bei Potsdam geboren. Von 1975 bis 1980 studierte er Philosophie und Lateinamerikanistik in Berlin und Leipzig. Anschließend war er sechs Jahre lang als Lateinamerika-Redakteur bei der „Berliner Zeitung“ und nebenberuflich als Sachbuchautor und Literaturrezensent für die Kulturzeitschrift „Sonntag“ (jetzt „Der Freitag“) tätig.

Ab 1986 arbeitete er im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar als Assistent der Geschäftsleitung. Im Dezember 1989 gründete er mit dem ch.links-Verlag (Schwerpunkt Politik und Zeitgeschichte) den ersten neuen Privatverlag in der DDR. Seit 1991 ist er Mitglied im p.e.n.-club. Von 1992 bis 2002 war er Mitglied des Aufsichtsrats der Frankfurter Buchmesse. Christoph Links hat seit der Wende zahlreiche Buch- und Zeitschriftenpublikationen zur Literatur- und Zeitgeschichte herausgegeben.