Lesung und Gespräch mit Friedrich Schorlemmer: Martin Luther – Unser Blick auf ihn – Sein Blick auf uns

Veranstaltung am 8. Dezember 2008

In seinem Buch „Hier stehe ich, Martin Luther“ beschreibt Friedrich Schorlemmer einen überaus widersprüchlichen Menschen: Martin Luther „ist ein frommer Christ, ein typischer Deutscher, ein liebenswürdiger Freund, Ehemann und Vater, ein begnadeter Prediger, ein geschliffener Polemiker, ein mit Ängsten Geschlagener und von Fröhlichkeit Überschäumender, ein klarsichtiger Kopf, ein in Vorurteilen Befangener, ein redseliger Tischgenosse, ein musischer Geist, ein nimmermüder Fürsprecher für alle, die es schwer haben, ein von vielen Krankheiten lebenslang Geplagter…. Er kann nicht mit ansehen, wie andere Hunger leiden oder ihnen Unrecht geschieht. Immer hat er sich eingemischt, sich selber nie schonend und stets uneigennützig.

Die einen sehen in ihm den Vorläufer der Aufklärung, die anderen den Verursacher des Dreißigjährigen Krieges – diesen deutschen Nationalheros, diesen Bauernaufrührer und Bauernschlächter… diesen Schöpfer der deutschen Sprache, diesen Liebling von Herrschaften, die andere gerne zu Untertanen machen…“ Und dann noch die Spuren seines „verfluchten Antijudaismus, samt seinen anderen irrationalen Feindphobien.“

Genug! So viele Widersprüche in einer Person! Wie kann uns ein solcher Mensch Vorbild sein – oder zählt einzig der Erfolg, einzig seine Lebensleistung? Aus welchem Blickwinkel? Die katholische Kirche wird seine Lebensleistung nach wie vor verdammen, die DDR sah in ihm bis Mitte der 70er Jahre den Verräter und Fürstenknecht, dann entschieden sich ihre Oberen, ihn lieber als einen der Auslöser der bürgerlichen Revolution zu präsentieren.

Die meisten jüngeren Menschen werden wenig oder gar nichts mehr von ihm wissen, außer seinem Namen und ein paar derbe Sprüche, die sich über Generationen hinweg in deutschen Wohnstuben gehalten haben. Fragen wir Friedrich Schorlemmer.

Für ihn ist Luther – trotz allem – ein Großer, ein Kirchenreformer, ein Sozialreformer, ein Sprachschöpfer und Befreier des Individuums. Ein Mensch, der „nie etwas gegen sein Gewissen tun würde“. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Was würde wohl der große Kirchenmann zu unserer heutigen Gesellschaft sagen?

Leere Kirchen – volle Sportstadien. Überquellende TV-Programme mit Sex and Crime für die Spaßgesellschaft. Globalisierung, Neoliberalismus. Die Shareholder–Value Gesellschaft und der Tanz ums Goldene Kalb. Der Konsum als Droge und Weltanschauung.

Die Ängste: Weltweiter Terrorismus und die rapide Klimaveränderung.

Würde er die Menschen wachrütteln? Als wortgewaltiger Warner in allen Talk-Shows auftreten? Sich bei ATTAC engagieren? Würde er uns auffordern, noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen? Fragen wir Friedrich Schorlemmer.


 

zur Person:

Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer

Geboren 1944 als Sohn eines Pfarrers in Wittenberge (Priegnitz). Aufgrund seiner Herkunft wurde ihm der Besuch der erweiterten Oberschule verwehrt, stattdessen holte er das Abitur auf einer Volkshochschule nach und schloss dieses 1962 ab.
Von 1962 – 67 studierte er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Theologie. Von 1971 – 78 war er Studentenpfarrer in Merseburg, von 1978 – 92 lehrte er als Dozent am Evangelischen Predigerseminar und war Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg.
Seit 1992 ist Friedrich Schorlemmer Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Bereits 1968 beteiligte sich Schorlemmer an Aktionen gegen die damals neue Verfassung der DDR und den militärischen Einmarsch in die CSSR.
Seit den siebziger Jahren war er Mitglied der Friedens-, Menschenrechts – und Umweltbewegung. Auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg fand auf dem Lutherhof unter seiner Verantwortung die symbolische Umschmiedung eines Schwertes zu einer Pflugschar statt, obwohl die DDR-Behörden bereits vorher die öffentliche Benützung des Slogans Schwerter zu Pflugscharen für illegal erklärt hatten. Diese Aktion wurde als Symbol zu einem Hoffnungszeichen für die Friedensbewegung in der DDR, die sich für atomare und konventionelle Abrüstung in Ost und West und für eine konsequente Entspannungspolitik einsetzte.
1989 unterzeichnete er den Aufruf Für unser Land und war Mitbegründer des Demokratischen Aufbruch, wechselte dann aber wegen der Politik des Vorsitzenden Wolfgang Schnur zur SDP. Er gehört zu den engagierten Gegnern der sog. Antiterror-Kriege in Afghanistan und im Irak sowie zu den Sympathisanten von Attac.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit heißt für ihn Versöhnung, nicht Rache. Seine politischen Prioritäten liegen in den Gefahren, die von der Globalisierung und dem Neoliberalismus ausgehen. 1997 unterzeichnete er die Erfurter Erklärung, die auf der Umsetzung des Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes besteht, wonach Eigentum zugleich dem Gemeinwohl zu dienen hat.

Friedrich Schorlemmer ist Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, Mitglied des PEN-Zentrums, Vorsitzender des Willy-Brandt-Kreises, sowie Mitherausgeber der Monatzeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik und der Wochenzeitschrift Freitag.

1989 erhielt er die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für  Menschenrechte, 1993 den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2002 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Concordia-Universität in Austin (Texas) verliehen.

Seine zahlreichen Veröffentlichungen sind im Internet unter www. wikepedia.de aufgelistet.