Rückblick – Wird Afghanistan unser Vietnam?: Vortrag und anschließendes Gespräch mit Professor Doktor Walther Stützle

Veranstaltung am 23. Januar 2010
Vortrag und anschließendes Gespräch mit Professor Doktor Walther Stützle, Staatssekretär a. D. und Honorarprofessor an der Universität Potsdam

Im neunten Jahr des Krieges in Afghanistan zog Obamas Beauftragter für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, eine bittere Zwischenbilanz: Man müsse in Vielem ganz von vorne anfangen. Dieser Einsatz am Hindukusch sei schlimmer, schwieriger und härter als der Vietnamkrieg – und er werde sich als der längste der amerikanischen Geschichte entpuppen.

Die deutsche Öffentlichkeit ist gespalten. Gut die Hälfte der Deutschen ist laut Umfragen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan – und für sie sprach die EKD-Beauftragte der Evangelischen Kirche, Bischöfin Margot Käßmann, als sie in ihrer Neujahrspredigt die Ansicht vertrat, dass „Waffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan schaffen“ und dass man jetzt den Mut haben müsse, über Alternativen zu sprechen. Dem widersprachen Politiker aus FDP, SPD und CDU und Vertreter des Bundeswehrverbandes. Ein Teil von ihnen zeigte dabei eine erschreckende Niveaulosigkeit. Andere differenzierten oder nahmen die Bischöfin in Schutz. Was sind die Alternativen?

Einfach abziehen und das Land den Taliban überlassen, die dünne Schicht westlicher Zivilisation wieder aufgeben und dem internationalen Terrorismus wieder eine sichere Basis zurückgeben? Oder die Prioritäten verändern, dem zivilen Aufbau des Landes absoluten Vorrang einräumen und die zersplitterten Aufbauteams aus aller Herren Länder besser koordinieren? Mit dem gemäßigten Teil der Taliban verhandeln und sie in die Regierung einbeziehen?

Kann es bei diesen eher oberflächlichen Fragen bleiben? Müssen wir uns nicht endlich einmal mit den Ursachen beschäftigen, die dem islamischen Fundamentalismus und Terrorismus immer neue Nahrung geben? Werden uns sonst nicht in absehbarer Zeit neue Terrorzellen in „zerfallenden Staaten“ bedrohen, wie sie bereits im Jemen, in Pakistan, in Somalia und Nigeria sichtbar werden? Wollen wir dort überall einmarschieren?

Das sind wohl die eigentlichen Fragen, die wir jetzt angehen müssen, wenn wir die Sicherheit unserer Gesellschaften auf lange Sicht im Auge behalten wollen.
Wer dennoch darüber hinweg schwadronieren will, dem sollte ein Satz von Obamas Beauftragtem Richard Holbrooke auf die Stirn gebrannt werden: „Jedes Jahr töten wir mehr Taliban, und jedes Jahr gibt es mehr von ihnen.“


 

Zur Person:

Walter Stützle (*1941) studierte von 1962 bis 1966 Politikwissenschaft in Berlin, Hamburg und Bordeaux. Seine berufliche Laufbahn begann 1967 als Dozent an der Theodor Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg und Gummersbach.

Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute for Strategic Studies in London, 1969 wechselte er – ebenfalls als wissenschaftlicher Mitarbeiter – an das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik nach Bonn.

1972 promovierte er zum Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Zwischen 1969 – 1982 bekleidete er verschiedene Funktionen im Bundesministerium der Verteidigung. Von 1977 bis 1982 leitete Stützle den Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung.

Seit 1983 arbeitete Walther Stützle als Korrespondent für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Stuttgarter Zeitung.

1986 wurde er zum Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) berufen.

Von 1991 bis 1998 arbeitete er für den Berliner Tagesspiegel – anfangs als stellvertretender Chefredakteur, seit 1994 als Chefredakteur.

1998 wurde Walther Stützle zum Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung ernannt.

Seit seinem Ausscheiden im Jahr 2002 lebt Professor Stützle als freier Autor in Berlin. In dieser Eigenschaft ist er für verschieden Rundfunk- und Fernsehanstalten, zum Beispiel Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk, WDR und N24, tätig. Professor Stützle setzt sich in zahlreichen Aufsätzen, Kommentaren und Beiträgen mit Internationaler Politik und Sicherheit auseinander.

Darüber hinaus bekleidet er mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten. Unter anderem ist er Honorarprofessor an der Universität Potsdam , Fellow des Centrums für Angewandte Politikforschung in München sowie Senior Distinguished Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Walther Stützle ist mit der Ärztin Heidi Stützle verheiratet, das Ehepaar hat vier Kinder und neun Enkelkinder.