Lesung und Gespräch mit Sascha Adamek

Veranstaltung am 7.5.2011

Das Märchen vom scheuen Reh

Wie eine ungerechte Steuerpolitik die Spaltung unserer Gesellschaft vertieft

Schön reich – Steuern zahlen die anderen

Das Kapital ist scheu wie ein Reh, so heißt es, man sollte es mit Vorsicht behandeln. Das sah auch Angela Merkel so, als sie im Vorwahljahr 2004 sagte: „Wenn wir alle Reichen vertrieben haben, dann sind auch die Armen ärmer, auf diesen Pfad möchte ich mich nicht begeben mit einer verantwortungsvollen Politik in diesem Lande“. Das sitzt tief im Bewusstsein einer breiten Bevölkerung: Verschwinden die Reichen, ist auch mein Arbeitsplatz weg

Doch, das scheue Reh kann sich bei uns wohlfühlen. Zwar hat es vorsichtshalber Futter ins Ausland geschafft – schätzungsweise 500 Mrd. Euro. Aber auch überlastete Finanzbeamte, frustrierte Betriebsprüfer und Steuerfahnder, die zum Psychiater geschickt und zwangspensioniert werden, wenn sie ihre Aufgabe allzu ernst nehmen, können dies bezeugen.

Wie es aussieht, haben sich alle Regierungen, ob rot-grün, schwarz-rot oder schwarz-gelb darum bemüht, für das Kapital, für die Reichen in dieser Gesellschaft gute Lebensbedingungen zu schaffen. Das Ergebnis: Der Staat ist mit zwei Billionen Euro verschuldet, allein die Zinsen übersteigen die Kosten für Bildung und Forschung. Das private Geldkapital hingegen übersteigt die Staatsschulden mit 4,5 Billionen Euro um mehr als das Doppelte. Um es noch deutlicher zu machen: Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen über 60 Prozent des gesamten Vermögens.

Weil dies so ist, muss der Staat sparen, privatisiert viele Bereiche der Daseinsvorsorge, verkauft sein Tafelsilber. Das Angebot an die Bevölkerung sinkt. Die kleine Schicht der Wohlhabenden schafft sich deshalb zusehends eigene, besser funktionierende Bereiche: Private Kindergärten, private Schulen, private Universitäten, privat funktionierende Gesundheitssysteme, private Sicherheitsfirmen. Die erste „gated community“ ist bereits in Potsdam eingerichtet.
Gleichzeitig werden der breiten Bevölkerung, vor allem den Lohn- und Gehaltsempfängern sowie dem Mittelstand, erhebliche Einschnitte zugemutet. Wie ist diese zunehmende Spaltung in Arm und Reich in einer Demokratie möglich? Sind sich die politisch Handelnden darüber im Klaren, dass dies die Fundamente unseres sozialen, demokratischen Rechtsstaates auf Dauer unterspült? Warum wird jenen, die vor dieser Entwicklung aus Verantwortungsbewusstsein für den inneren Frieden in unserer Gesellschaft warnen, sofort eine Neiddebatte unterstellt?

Noch ist es nur ein Grummeln in der Bevölkerung. Noch. Die tägliche Berichterstattung über Katastrophen in aller Welt mag helfen. Auch verstehen die meisten Menschen von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen wenig – und von Steuerpolitik schon gar nichts. Wer allerdings das Buch der beiden jungen ARD-Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto mit dem Titel: Schön reich – Steuern zahlen die anderen – liest, dem stockt der Atem. Alles hat man schon einmal gehört oder gelesen, aber diese gut recherchierte und dokumentierte Zusammenfassung ist ein bitteres Lehrstück über das, was sich ein leider nicht ganz kleines Geflecht von Gewissenlosen und vor Gier Blinden in dieser Gesellschaft leistet. Wenn das alles stimmt, dann ist es nicht mehr hinnehmbar.


 

Zur Person:

Sascha Adamek wurde 1968 im westfälischen Winterberg geboren. Nach dem Besuch einer katholischen Grundschule machte er sein Abitur am städtischen Gymnasium in Winterberg. Direkt im Anschluss absolvierte er seinen Zivildienst und von 1990 bis 1995 studierte er an der Universität Dortmund Journalistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaft. Noch während seines Studiums ging er als Volontär zur Berliner Zeitung.

Bereits seit 1994 arbeitet der Diplom-Journalist für den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (jetzt RBB), ab 1999 dann auch für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und die ARD. Seit fünfzehn Jahren ist Sascha Adamek als investigativer Journalist und Filmemacher für den RBB und den WDR tätig. Seine Beiträge laufen vorrangig in den ARD-Politikmagazinen MONITOR und KONTRASTE. Während seiner journalistischen Karriere hat er immer wieder Fernsehdokumentationen zu brisanten Themen produziert, beispielsweise über den NATO-Einsatz gegen Serbien oder den Missbrauch der Kurzarbeit durch Konzerne in der Wirtschaftskrise.

Gemeinsam mit dem Journalisten Kim Otto publizierte er ein Buch sowie eine Fernsehreportage über den Einfluss von Konzernlobbyisten in der Politik mit dem Titel „Der gekaufte Staat“. Über einen Teilaspekt ihres Buches „Schön reich – Steuern zahlen die anderen“ produzierten sie eine gleichnamige Fernsehdokumentation für die WDR-Sendereihe „Die Story“. Im Februar 2011 erschien im Heyne-Verlag das Buch „Die facebook-Falle – wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft“. Darin deckt Sascha Adamek die ökonomischen, politischen und geheimdienstlichen Hintergründe des milliardenschweren Facebook-Konzerns auf. Im Juni 2011 wird von Sascha Adamek im Heyne-Verlag das Buch „Die Atom-Lüge – Getäuscht, Vertuscht, Verschwiegen: Wie Politiker und Konzerne die Gefahren der Atomkraft herunterspielen“ erscheinen.