Eröffnet am 5. Juli 2021 um 19 Uhr in der Alten Schäferei von Gut Gödelitz, Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai
Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz, meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Namen des Vorstandes unseres Bürgervereins begrüße ich Sie alle zu einer neuen Veranstaltung unter gelockerten Corona-Schutzvorschriften. Zu Beginn eröffnet unser Bürgerverein eine neue Kunstausstellung. Es ist unsere 53. Zu sehen sind Arbeiten von Elke Daemmrich. Die Künstlerin ist dazu mit ihren Bildern aus Südfrankreich zu uns nach Gödelitz gekommen. Wir freuen uns darüber. Liebe Frau Daemmrich, seien Sie in unserer Mitte herzlich willkommen.
Ich bin über das Zustandekommen dieser Ausstellung ganz besonders froh.Seit ich Arbeiten von Elke Daemmrich gesehen habe, bin ich ein Bewunderer ihrer Kunst. Neugierig, fasziniert, verwundert und erheitert, aber auch nachdenklich, verstört und fragend schaue ich auf die unverwechselbaren Bilder dieser erfahrenen und gefragten Künstlerin. Arbeiten von Elke Daemmrich waren bisher auf über 100 Einzel- und auf mehr als 150 Gemeinschaftsausstellungen zu sehen, außer in Deutschland auch in Frankreich, Spanien, Polen, Luxemburg, Monaco und den USA.
Seit langem bin ich an einer Ausstellung ihrer Kunst in unserem Bürgerverein interessiert. Und ich war sehr froh, als wir diese langfristig und fest einplanen konnten. Aber dann kam Corona. Diese Pandemie aber verträgt sich generell schlecht mit langfristiger Planung. In unserem Fall kam mit den unterschiedlichen Corona-Schutzverordnungen in Frankreich, Deutschland und Sachsen und ihrer unterschiedlichen Umsetzung eine weitere Schwierigkeit dazu. Ich bin sehr froh, dass unter diesen ungünstigen Bedingungen diese Ausstellung trotzdem zustande gekommen ist. Dafür danke ich Elke Daemmrich, die bei ihrer Zusage geblieben ist und sich erfolgreich um eine Förderung dieses auch finanziell aufwendigen Projekts gekümmert hat. Darum ein Dank auch an die Kulturstiftung des Freistaates Sachen. Bedanken möchte ich mich auch bei Juliane Zickuhr und Barbara Wagner von unserem Bürgerverein, die in den letzten Wochen die letzten Hindernisse aus dem Weg räumen konnten.
Heute nun eröffnet das ost-west-forum Gut Gödelitz mit Freude die 103. Einzelausstellung von Elke Daemmrich. Die Künstlerin hat ihr den Titel „Transformation“ gegeben, Untertitel „Malerei von 1982-2019 und Das grafische Werk von 1997-2020. Wir haben es also mit einer Personalausstellung zu tun, die an Beispielen einen Überblick über das bildkünstlerische Schaffen von Elke Daemmrich gibt. Nähern wir uns dieser Künstlerin und ihren Arbeiten mit Hilfe einiger Fragen:
Erstens: Wer und was ist diese Elke Daemmrich?
Zweitens: Was und wie malt und zeichnet sie vor allem? (oder: Was ist auf ihren Bildern und Grafiken zu sehen?)
Drittens: Was hat die Künstlerin beim Zeichnen und Malen wahrscheinlich in sich gesehen (oder: Welche Ansichten , Absichten und Botschaften drücken Ihre Arbeiten aus?)
Viertens: Was können wir in ihren Arbeiten sehen? (oder: Welche Stimmungen, Gefühle, Erinnerungen, Gedanken, Fragen können sie bei uns auslösen?)
Fangen wir mit dem Biografischen an. Es fällt auf, dass es auf ihrer Webseite nur sehr wenige persönliche Angaben gibt, aber eine lange Liste von Studienaufenthalten, Ausstellungen und Stipendien, von Auszeichnungen, Preisen und Mitgliedschaften. Auf meine Rückfrage nach mehr persönlichen Daten bekam ich folgende Antwort: „Mein Leben besteht darin, Kunst zu schaffen und diese in die Welt zu bringen. Es gibt daher eine professionelle Vita und keine persönliche.“ Die erhellende Auskunft einer selbstbewussten Künstlerin. Hier der Versuch einer Kurzbiografie von Elke Daemmrich:
Sie ist 1964 in Dresden geboren. Bereits als Schülerin hat sie gern gezeichnet und gemalt. Später hat sie sich besonders für moderne Kunst interessiert, den Expressionismus vor allem. Ihr Studium an der Dresdener Hochschule für bildende Künste hat sie bald abgebrochen. Sie wollte sich in keine Kunstrichtung, keinen Kunststil, keine Malschule einordnen lassen.
Selbstbewusst und suchend hat sie sich zu einer erfolgreichen und anerkannten Künstlerin entwickelt. Auf dem Weg zu ihrer Kunst, ihrem eigenen Stil, ihrer eigenen künstlerischen Handschrift hat sie der deutsch-amerikanisch-französische Maler, Grafiker und Bildhauer Max Ernst besonders beeindruckt, vor allem mit seinen bizarren Tiergestalten, seinen rätselhaften Bildkompositionen und seiner Lebensphilosophie. Max Ernst war Autodidakt und Surrealist. Er ist 1976 in Paris verstorben.
Elke Daemmrich hat immer engagiert und suchend gemalt. Begonnen mit konkreter Darstellungsweise ist sie bald zu einer abstrakten Bildsprache übergegangen. An der Rückwand sehen wir Beispiele aus dieser abstrakten Arbeitsphase.
Das Jahr 1993 stellt in der Biografie von Elke Dämmrich eine wichtige Zäsur dar. Für ihre Arbeit „Das Licht des Südens“ wurde sie von der Stiftung Kulturfonds Berlin ausgezeichnet. Der Preis bestand in einem halbjährlichen Studien- und Malaufenthalt in Südfrankreich. In dem 409 Einwohner kleinen Ort Lacoste konnte sie unbeschwert leben und malen. Das wurde für sie zu einem entscheidenden Erlebnis und Wendepunkt. Sie drückt das so aus: „Ich war fasziniert von Landschaften, Licht und Energie. Die Lebens-, Natur- und Kulturbedingungen des Mittelmeerraumes wurden und bleiben die wichtigsten Themen meiner Kunst…Für mich ging die Malerei erst 1993 los.”
Im Jahr darauf zieht die junge Malerin nach Südfrankreich um. In der Nähe von Toulous kauft sie sich in der Gemeinde Tournecoupe ein mittelalterliches Haus. Ihr neuer Wohn- und Arbeitsort ist rund 750 Jahre alt und hat 270 Einwohner. (Vielleicht hat es mir die Vorliebe von Elke Daemmrich für kleine Orte und alte Häuser erleichtert, sie für eine Ausstellung im kleinen Ort Gödelitz und der Alten Schäferei zu gewinnen.)
Bald sieht ihr Leben so aus: Im Sommerhalbjahr malt sie in Südfrankreich. Im Winterhalbjahr arbeitet sie in ihrem Dresdner Atelier grafisch. Ihre Radierungen druckt sie in der Druckwerkstatt Dresden selbst. Seit 25 Jahren lebt und arbeitet Elke Daemmrich in zwei Ländern, zwei ganz unterschiedlichen Orten, zwei unterschiedlichen Kulturen.
Hat sie auch zwei Heimaten? Auf diese Frage hat sie so geantwortet:
„Heimat hat für mich verschiedene Dimensionen. In Dresden befinden sich die Wurzeln meiner Herkunft, in Südfrankreich die Wurzeln meiner Kreativität. Sicherlich lebe ich in Südfrankreich ein Stück näher an der Natur und vor allem eingebettet in die geschichtlichen Gegebenheiten: mein Haus, mein Arbeits- und Wohnort, ist das Geburtshaus eines Erzbischofs von Albi mit Teilen aus dem 13. Jh. Mein südlicher Garten, die Nähe der Geschichte, die Sonne, das Licht laden mich mit einer besonderen Energie auf.“
Nachdem wir nun etwas darüber wissen, wer und was Elke Daemmrich ist, fragen wir weiter, was und wie diese Künstlerin malt und zeichnet. Schauen wir dazu auf die ausgestellten Gemälden und Grafiken. Auf den ersten Blick fällt uns eine überwältigende Fülle an Formen und Farben auf. Die Bilder sind prall voll. Es gibt keine leeren Flächen. Auf den zweiten Blick erkennen wir Pflanzen, Blumen vor allem, und Tiergestalten, vorwiegend kleine, Insekten und Schmetterlinge. Wir sehen Landschaften, vor allem Gärten, Felsen und Meer. Und uns fallen viele in Größe, Form und Farbe unterschiedliche menschliche Gestalten auf, manchmal nur ein Gesicht.
Und all diese unterschiedlichen Formen und Figuren sind oft zusammen in einem einzelnen Bild rätselhaft kombiniert. Sie stehen oder liegen neben, über- und untereinander. Und häufig durchdringen sie sich. Es gibt keine klare Perspektive. Es ist, als wären viele Bilder in mehreren Perspektiven gemalt. Wir brauchen Zeit zum Betrachten der detailstarken Bilder.
Unser suchender Blick erkennt relativ leicht die gegenständlich gemalten Bildmotive. Zugleich bemerken wir, dass sie in dieser Form und vor allen in dieser Kombination in der Wirklichkeit nicht vorkommen. Das Ganze wirkt darum surreal, überraschend, rätselhaft, geheimnisvoll, nicht selten zugleich heiter und dekorativ.
Ähnlich beeindruckend wie die überbordende Formenvielfalt ist die überschäumende Farbigkeit der Bilder. Sie wirken leuchtend, warm und freundlich. Man meint die südliche Sonne zu spüren. Wenn wir längere Zeit auf die Bilder von Elke Daemmrich geschaut haben, fragen wir uns wahrscheinlich, wie sie zu solchen Bildmotiven und Bildkombinationen kommt. Lassen wir die Künstlerin selbst zu Wort kommen:
„Alles, was ich in meiner Kunst mache, mache ich direkt. Das heißt, ich verwende keine Projektion. Ich bereite keine Zeichnungen auf Papier oder Leinwand im Voraus vor. Meine Schöpfung ist immer eine direkte Kommunikation mit einem Objekt, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht und das Thema und Richtung meiner Arbeit wird. Es kann in meinem Garten sein, wo eine Gottesanbeterin meine Neugier erweckt, oder beim Schwimmen im Mittelmeer in der Nähe von Valencia in Spanien. Es kann auch durch ein politisches Ereignis oder eine sehr persönliche Situation motiviert sein.“
Diese vorurteilsfreie Neugier, dieses aufmerksame Sehen-Können, dieses Interesse an Natur und Gesellschaft kennzeichnen Elke Daemmrich. Ihren in direkten Begegnungen gewonnenen sehr persönlichen und subjektiven Eindrücken gibt sie dann in ihren Bildern und Grafiken einen unverwechselbaren künstlerischen Ausdruck. Und das mit schier grenzenloser Phantasie, großer innerer Bildsicherheit und bewundernswerter äußerer Gestaltungssouveränität.
Von unseren bisherigen Ausstellungen wissen wir um den Unterschied zwischen dem, was wir auf einem Bild und dem, was wir in demselben Bild sehen können. Wobei wir auf einem Bild meist alle das gleiche sehen, in einem Bild es aber von Betrachter zu Betrachter sehr unterschiedlich sein kann. Fragen wir darum, was die Künstlerin beim Malen wahrscheinlich in sich gesehen hat. Stellen wir Vermutungen an über ihre Ansichten, Absichten und Botschaften.
Am leichtesten scheint uns das bei ihrem grafischen Werk zu gelingen. Bildtitel und Bildinhalte weisen uns dabei oft den Weg. Lassen Sie mich das an einem Beispiel andeuten: 2019 war Elke Daemmrich zu einem durch Stipendien ermöglichten Arbeitsaufenthalt in Cleveland / Ohio. Dort ging es vor allem um Grafiken und Drucktechniken. Die danach entstandene grafische „Cleveland suite“ zeigt keine touristischen Sehenswürdigkeiten dieser Großstadt, sondern die großen sozialen Unterschiede einer in arm- und reich, in „up and down“ gespaltenen Gesellschaft. Einen ähnlichen kritischen Blick auf gesellschaftliche Vorgänge und Zustände zeigen ihre grafischen Blätter zu den Themen „Irak“ und „Fukushima“.
Elke Daemmrichs Kunst hat nichts mit l’art pour l’art zu tun. Sie macht verantwortungsvoll auf gesellschaftliche Schwachstellen und Problemfelder aufmerksam, aber ohne vordergründig politisch zu werten.
Auch im malerischen Werk dieser Künstlerin können wir eine zutiefst verantwortungsvolle Haltung erkennen, hier vor allem gegenüber der Natur. Der Mensch wird in seiner Doppelnatur gesehen , sowohl als Naturwesen wie auch als Kulturwesen. Wir Menschen brauchen die Natur zum Überleben. Die Natur braucht uns eher nicht. Liebe zur Natur, Freude an der Natur, ihr Schutz und ihre Erhaltung gehören für Elke Daemmrich zusammen. Schauen wir uns dazu zwei Beispiele an:
Zunächst das „Selbstbildnis mit Granatäpfeln“. Die Durchdringung der Bildobjekte können wir als Metapher verstehen für unser überlebensnotwendiges harmonisches Verhältnis von Mensch und Natur. Mensch und Natur werden hier zudem in ihrer Schönheit gezeigt. Mir gefällt sehr, dass bei Elke Daemmrich Bilder auch einfach mal schön sein dürfen. Nicht wenige Künstler haben kein so positives Verhältnis zur Schönheit.
Betrachten wir als zweites Beispiel das Gemälde „Die Gottesanbeterin“. Unser suchendes Auge braucht eine Weile, um in der dichten Fülle von Linien, Flächen und Farben die Heuschrecke zu erkennen. Auf dieses maximal sieben Zentimeter große Tier war Elke Daemmrich beim Blick aus ihrem Fenster in ihren sommerlichen Garten aufmerksam geworden. Die Gottesanbeterin steht auf der Roten Liste der besonders gefährdeten Tiere. Sie steht unter Schutz. Darauf scheint uns die Künstlerin hinweisen zu wollen. Sie zoomt das kleine Tier deswegen heran und macht es zum Mittelpunkt eines großen Bildes.
Elke Daemmrich hat ihrer Gödelitzer Ausstellung den Titel „Transformation“ gegeben. In unserer 53. Kunstausstellung geht es also um Veränderung, Übergang, Durchgang, Verwandlung. Im engeren Sinne kann sich das auf den Übergang von der anfangs gegenständlichen zur später abstrakten und schließlich zur surrealen Darstellungsweise beziehen. Transformation als Ausstellungstitel meint wahrscheinlich auch die die dynamische Sicht der Künstlerin auf unsere Welt, sowohl auf die Natur wie auch auf unser Leben.
Das Wachsen, Blühen und Verwelken der Blumen zum Beispiel kann uns auf den Zyklus unseres eigenen Lebens verweisen. Der bekannte französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat für diese Sichtweise folgende poetische Formulierung gefunden: „Du bist nichts als Weg und Durchgang und kannst nur von dem leben, was du verwandelst. Der Baum verwandelt die Erde in Zweige. Die Biene die Blüte in Honig. Und dein Pflügen die schwarze Erde in das Flammenmeer des Getreides.“
Soweit der Versuch einer Annäherung an Elke Daemmrich und ihre Kunst. Bleibt noch unsere vierte Frage, was wir Betrachter in ihren Arbeiten sehen, welche Gefühle, Gedanken, Fragen Erinnerungen, Befürchtungen oder Hoffnungen ihre Bilder und Grafiken in uns auslösen. Das aber kann von Betrachter zu Betrachter unterschiedlich sein, weil es von vielen Faktoren abhängt, so von Alter und Lebenserfahrung, von den je eigenen Ansichten und Interessen, bis hier zur augenblicklichen Verfasstheit.
Probieren wir es einfach aus. Nehmen wir uns dafür Zeit, wenigstens für einige ausgewählte Bilder und Grafiken. Die Arbeiten von Elke Daemmrich werden auch bei unserem Sommerkonzert am 17. Juli und unserer Veranstaltung am 7. August zu sehen sein. Wenn Sie dazu eine halbe Stunde eher kommen, können Sie sich Zeit nehmen für das Verweilen vor, mit und zu den Bildern.
Im Namen des Vorstandes unseres Bürgervereins wünsche ich allen Betrachtern unserer 53. Kunstausstellung Freude und Nachdenklichkeit.