25 Jahre friedliche Revolution – Erinnerungen an einen Glücksfall deutscher Geschichte

Veranstaltung am 6. September 2014

Am 6. September erinnerten sich die Künstler Edith Tar und Radjo Monk  und der Historiker Professor Wendelin Szalai gemeinsam mit dem Publikum an die Friedliche Revolution vor 25 Jahren.

© Edith Tar

© Edith Tar

Unser Bürgerverein befasste sich auf eine sehr persönliche, subjektive und auch emotionale Weise mit diesem Glücksfall deutscher Geschichte.

Ein erfolgreicher gesamtgesellschaftlicher Umsturz – und das ohne bewaffnete Gewalt, Kerzen waren stärker als Gewehre, das ist einmalig in der langen deutschen Geschichte.

Unser Erinnern an diesen Glücksfall erfolgte auf drei unterschiedlichen Zeitebenen und wurde mittels Kunst verstärkt.

Begonnen wurde mit dem Herbst 1989. Im Mittelpunkt standen die Montagsdemonstrationen in Leipzig. Von hier ging der Ruf „Wir sind das Volk“ aus. Vom Osten aus wurde die Mauer niedergerissen.

Die Leipziger Monatsdemonstrationen waren Gegenstand der an diesem Abend zu eröffnenden Kunstausstellung. Die 29. Gödelitzer Kunstausstellung zeigt Arbeiten der Leipziger Fotografin und Künstlerin Edith Tar. Sie hat bei den inzwischen legendären Leipziger Montagsdemonstrationen als Teilnehmerin fotografiert. Sie ist also eine Zeitzeugin. Ihre Fotografien sind zeitgenössische historische Quellen. Sie haben dokumentarischen Charakter und sind zugleich ausdrucksstarke Kunstwerke. Sie lassen uns heute etwas spüren von Volkszorn, Freiheitswillen, Angst, Hoffnung, Euphorie.

Einer der unzähligen Demonstranten, die Montag für Montag um den Leipziger Ring zogen und für freie Wahlen und Pressefreiheit demonstrierten, war Radjo Monk, damals ein junger Schriftsteller aus Leipzig. Er hat die Originaltöne der Demonstranten aufgenommen. Zusammen mit Edith Tar  hat er Bild- und Tonaufnahmen zum Videoclip  „Wir sind das Volk“ arrangiert, der 1999 in Leipzig zum Internationalen Festival für Dokumentar- und Animationsfilm uraufgeführt und an den Anfang des Festivals gesetzt wurde.

Dieser Film bildete den zweiten Teil unserer Veranstaltung.

Danach las Radjo Monk aus seinem Buch „Blende 89“, das 2005 im Verlag Büchergilde Frankfurt a. M. erschienen ist und Einblick gibt in ein Tagebuch, das den Bogen vom 3. Oktober 1989 zum 3. Oktober 1990 spannt. Das ist eine ganz einmalige Chronik, konkret, ereignisdicht, einfühlsam, sprachmächtig. Radjo Monk ist wie Edith Tar Zeitzeuge. Sein Tagebuch ist eine zeitgenössische historische Quelle, es hat dokumentarischen Charakter. Zugleich ist es das künstlerische Werk eines jungen Literaten, der in der DDR aber am Veröffentlichen gehindert war.

Auf der Zeitebene 1989/1990 sprachen also zwei junge und sehr kritische DDR-Bürger als Zeitzeugen. Sie sprachen mit Bild und literarischem Text auf eine künstlerische Weise. Mit ihnen, heute zwei kritischen Bundesbürgern und vielseitig wirkenden Künstlern, konnten wir an diesem Abend über das damals reden.

Wendelin Szalai las aus dem Buch „GrenzFall Einheit – Zwischenbericht aus Sachsen“. Die zweite Erinnerungsebene lag 15 Jahre nach der friedlichen Revolution, nach Mauerfall und Wiedervereinigung. Die evangelische Akademie Meißen hatte dazu aufgerufen, nach 15 Jahren seine Erinnerungen an dieses Großereignis deutscher Geschichte aufzuschreiben. Viele Menschen haben sich mit kurzen Texten, mit kleinen Geschichten oder mit Gedichten, an diesem Projekt beteiligt. Daraus ist ein vielschichtiger Sammelband geworden. Wendelin Szalai las seinen Beitrag aus diesem Buch. Er erinnert sich darin an seine äußeren und vor allem inneren Grenzfälle und Grenzüberschreitungen seit dem Herbst 1989. Als „systemnaher“ Hochschullehrer war er arbeitslos geworden, hatte eine tiefe Identitätskrise durchlebt, hat sich in einem langen inneren Wandlungsprozess in dem neuen Deutschland beheimatet und ist so von einem „Wendeverlierer“ zu einem „Wendegewinner“ geworden.

 

Diskussion:

Die dritte Erinnerungsebene lag 25 Jahre nach der Wende. Sie lag im Hier und Heute. In der anschließenden Diskussionsrunde konnten Veranstaltungsteilnehmer in kurzen Beiträgen davon erzählen, was ihnen heute zum Herbst 1989, zur deutschen Wiedervereinigung, zur friedlichen Revolution durch Herz und Sinn geht, woran und wie sie sich vor allem erinnern.

Was man und wie man etwas erinnert, das ist von vielen Faktoren beeinflusst, vom jeweiligen Erfahrungshintergrund und Kenntnisstand, von den jeweiligen Ansichten, Absichten und Interessen. Unterschiedliche Menschen können sich also an dieselben Ereignisse unterschiedlich erinnern. Das betrifft vor allem auch die Deutungen und Wertungen, die immer, oft nur unbewusst, mit den Erinnerungen verknüpft sind. Im verstehenswilligen Gespräch kann man mit Empathie und Toleranz unterschiedliche Erinnerungen aushalten, ohne die eigenen zu verleugnen.

Die Veranstaltung am 6. September trug dazu bei.

Videodokumentation

25 Jahre friedliche Revolution